Montag, 31. März 2008

Szenen eines Krankenhausfrisiersalons

Preview aus dem Buch "Pizzazwerge, Brombier, Mädchenbrei" des formidablen Herrn Lino Wirag:

Dies ist ein Notfall, plärrten die Krankenhauslautsprecher in allen Sprachen, derer die Krankenschwestern mächtig waren. Kommen Sie bitte auf den Gang hinaus. Dort Wuseln.

Was ist denn los?, wollten die Patienten wissen und rangen die Hände. Waren sie nicht schon genug geschlagen durch ihr Hiersein?

Schon gesellte sich der Oberarzt zu ihnen, lächelnd wie Sperrfeuer. Von seinen Schultern blitzten die Abzeichen: Skalpell und Meißel, Wundnähte im Kreuzstich, Pflasterblinker. Der Oberarzt versprühte ein leichtes Anästhetikum aus einem neutralen Flakon. Sofort wurden alle ruhiger.

Sedieren Sie sich, gebot der Meisterschneider in Jesu Segensgestus. Die letzte Lieferung mit Antibiotikum ist leider nie eingetroffen.

Warum ist sie ausgeblieben?, fragte ein Alter mit rasierten Nasenhaaren.

Weil der Antibiotikumswagenfahrer mit der Frau Oberarzt durchgebrannt ist, erläuterte stefan-fränkisch der Oberarzt.

Mit Ihrer Frau?, fragten die Kranken und wussten nicht, ob sie lachen oder weinen sollten.

Ja, sagte der -ologe und ritzte sich mit dem Klappskalpell ein tieferes Lächeln in die Wangen, aber ich trage Privates nicht in den Beruf hinein.

Verstehen wir, sagten die Leute. Aber warum mussten wir unsere warmen Betten verlassen, neben denen in freundlich gerundeten Nierenschalen die antiseptischen Süßigkeiten der Verwandten warten?

Vorhin ist eine Frau mit einer Explosiventzündung eingeliefert worden, erklärte der Oberarzt, und wir müssen sie mit Antibiotika behandeln.

Er betrachtet die Deckenverkleidung, als sei damit alles gesagt.

Aber woher nehmen und nicht stehlen?, fragten die Kranken interessiert und waren froh, dass sie keine Explosiventzündung hatten, sondern nur vertrocknete Blumensträuße (oder Krebs).

Der Top-of-the-Pop-Arzt wies auf die Patienten: Sie alle wurden mit Antibiotika behandelt, charmierte er. Sie haben also noch Rückstände im Körper.

Ach so, aufmerkten die Patienten, sahen aber nur ein-drittel-erleichtert aus. Und was bedeutet das nun für uns?, wollten sie halbforsch wissen.

Wir müssen extrahieren, befand der Oberarzt fachchinesisch.

Die Leute saugten entsetzt die Luft aus dem Gang, doch der Mediziner sagte in einer gekünstelten Umgangssprache: Keine Angst, ihr Leutchen, es bedeutet nichts Schlimmes. Wir werden die Medizin einfach wieder entnehmen.

Wo setzt sich das Antibotium denn fest?, fragte ein kleiner Mann, der auf seinem Tropf durch den Gang cruiste.

In den Haaren, erklärte der Oberarzt, denn er war sehr gebildet. Er wies auf seinen Kopf, obwohl er eine Glatze hatte.

Und wie bekommt man es da wieder heraus?, fragte der kleine Tropfrider, denn er besaß eine gute Kombinationsgabe.

Durch Auspressen, erklärte der Masterarzt und machte eine Bewegung, als würde er ein Handtuch auswringen.

Muss man die Haare dazu abschneiden?, fragte eine dicke Frau, die sehr viele Haare hatte, auch unter den Armen und an anderen Stellen.

Nein, sagte der Oberarzt wie Loriot, nein, nein, keine Angst.

Dann führte er die Patienten in den Eingangsbereich des Krankenhauses, wo auch der Krankenhausfriseur seinen Salon hatte.

Hier bitte, sagte der Oberarzt und geleitete alle Kranken in den winzigen Geschäftsbereich. Der Arztarzt wies auf einen Stuhl, bei dem die Kopfstütze durch ein Waschbecken mit einer halbkreisförmigen Aussparung ersetzt worden war. Nehmen Sie Platz, machte er. Die Rollstuhlfahrer murrten, weil sie nicht mehr Platz nehmen konnten.

Jetzt verstehen wir, sagten sie Leute. In so einem Waschbecken lassen sich die Haare natürlich am besten auspressen.

Ita est, sagte der Oberarzt versehentlich auf Lateinisch.

Dann winkte er den extrastarken Pfleger Henry herbei, der sich hinter dem Regal mit den Lotionen versteckt gehalten hatte. Der extrastarke Pfleger hatte Oberarme dick wie Elefantenrüssel – aber auch genauso sensibel. Er würde den Kranken das Antibiotikum aus den Haaren pressen.

Aua, sagten die Kranken, das ziept.

Der extrastarke Pfleger drückte noch ein bisschen fester und sagte: Das muss so.

Bei manchen kam aber nicht nur Antibiotikum aus den Haaren, sondern auch etwas, das wie Waschmaschinenpulver aussah: Es war aber Kokain. Heimlich sammelte Henry das Koks in einer Vizir-Kugel, die er in Waschmaschine ausgewaschen hatte. Dabei merkte er sich die Gesichter der Patienten, denn er plante, ihnen das alte Kokain als neues Kokain wiederzuverkaufen. Dem Oberarzt natürlich auch.

Das Antibiotikum aber füllt er in kleine Schnaps-Flaschen, denn die waren schon desinfiziert.


© Lino Wirag

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